Im ständigen Wandel

Leseproben aus „Im ständigen Wandel“

 

Seiten 55 und 56

aus Weihnachten naht

 

 

„Ich“, ruft Harry, der etwas vorgeprescht ist, „habe mir eine Erinnerungspfeife an Bonn gegönnt.“

„Du rauchst immer noch?“

„Ja, Pfeife, die Lunge wird geschont.“

Plötzlich saust ein Schäferhund an ihnen vorbei. „Gott bin ich erschrocken, wo kam der denn her? Es ist doch immer wieder dasselbe. Die Leute lassen einfach die Köder laufen, keiner schert sich um das Wild. Schaut, da hinten kommt ein Mann in der Biegung, vielleicht ist er der Hundebesitzer?“

„Ich werde ihn fragen“, gibt Harry verärgert von sich. „Wir warten, bis er uns erreicht hat.“

Ein etwa 30-jähriger Mann in einem Pelz-Anorak ist bei ihnen angekommen und grüßt freundlich.

„Gehört Ihnen der Schäferhund, der eben hier vorbeigerannt ist?“, fragt Harry ihn.

„Ja, das ist mein Hund, der ist harmlos. Der weiß, wohin er will. Ich gehe mit ihm diesen Weg dreimal die Woche, er kennt sich aus.“

„Und Sie sind der Meinung er ist harmlos?“

„Ich wette“, gibt er zur Antwort. „Bis heute sind alle meine Hunde brav gewesen und haben kein Wild gerissen. Ich habe schon 3 Hunde gehabt. Immer Schäferhunde.“

„Na“, gibt Harry zurück, „ich wills Ihnen gerne glauben. Trotzdem möchte ich Sie bitten, pfeifen Sie ihn zurück.“

Der junge Mann schaut von einem zum anderen von uns und pfeift auf 2 Fingern gekonnt und laut. Wir stehen und gucken nach vorn, aber der Weg hat eine Biegung. Zunächst ist nichts wahrzunehmen.

„Da bin ich aber mal gespannt, ob er das gehört hat“, sagt Ingrid, „er hatte ja eine Wahnsinnseile.“

Wir stehen, horchen und sind perplex, der Hund kommt mit dem gleichen Tempo retour.

„Ich beglückwünsche Sie“, sagt Harry überzeugt.

„Ich würde meinen Hund nicht ohne Leine rennen lassen, wenn ich nicht von seiner Treue überzeugt wäre. Glauben Sie mir, mein Großvater war Förster und ich habe einiges als Kind von ihm gehört und gelernt. Was man als Kind lernt, vergisst man nicht.“

Wir wünschen uns gegenseitig noch viel Freude im Wald und  mit allen seinen Bewohnern und trennen uns.

„Das war eine sehr nette Begebenheit. Eine wahrhaft gute Unterhaltung“, sagt Dorette, „sowas erlebt man nicht häufig.“

An der Mühle angekommen läuft uns der junge Mann auf dem Hof über den Weg.

„Na nu, Sie sind auch eingekehrt?“

„Nein, ich bin hier zuhause.“

„Da muss ich Sie gleich noch mal beglückwünschen, hübsch haben Sie es hier. Wir sind lediglich Gäste.“

„Ich hoffe, Ihnen gefällt es hier auch, Sie dürfen jederzeit wiederkommen“, fügt er an.

„Alles Gute.“

„Danke, Ihnen auch.“

Am nächsten Morgen trauen wir unseren Augen nicht, es hat geschneit. „Weihnachten“, ruft Dorette vom Fenster her, „schau mal raus, du hattest gestern Recht.“

„Na, sag ich doch.“

Seiten 79 – 80 aus

Vorgestern, am 10. November

 

 

war Fritz abends noch Einen trinken gegangen. Spät in der Nacht kam er nach Hause. Damit hatte er den Hausfrieden hochgradig gestört.

„Warum fährst du heute in die Stadt?“

Gerda blieb ihm die Antwort schuldig. Sie ist gewissenhafter und bedeutet ihm damit, sie fühlt sich gekränkt.

In Wetzlar eilt sie in die „Sülze.“ K.S. wartet auf sie. Sie umarmen und besprechen sich. Mit knappen Worten eilt K.S. davon.

Abends um halb 11:00 Uhr kommt Gerda zurück und schließt die Haustüre auf. Fritz liegt bereits im Bett. Sie tritt in den Flur und „zwinkert“ mit dem Dielenspiegel, während sie ihre Jacke auszieht. Als sie ins Schlafzimmer kommt, fragt Fritz: „War es schön?“

Gerda überlegt nicht lange und antwortet: „Schön.“

Am nächsten Tag geht Gerda einkaufen. Das Telefon klingelt und Fritz nimmt den Hörer ab. „Hallo“, ruft Karin-Sybille, „Fritz, schön dass du da bist. Ich will mich nur noch mal herzlich bedanken, dass Gerda gekommen war. Bis in die Nacht hinein habe ich bei Mutter am Bett im Krankenhaus gesessen. Sie hat die Operation gut überstanden und verkraftet. Die Kinder waren währenddessen mit Gerda zuhause gut aufgehoben. Lieber Fritz, ich danke euch. Grüße Gerda von mir.“

 

Fritz steht mit dem Hörer in der Hand und…

 

„Gut dass ich staunen kann“, beruhigt er sich verblüfft.

 

 

Seiten 81-83

aus Gudrun trifft Inge

 

„Na ja, Weihnachtsmarkt ist nur einmal im Jahr, wenn auch vier Wochen lang. Aber wer vom Dorf kommt, fürchtet sich vor der Stadt. Deshalb fahren sie lieber zusammen. Um 10:00 Uhr war der Bus hier und der Weihnachtsmarkt war noch nicht eröffnet. Also bin ich mit ihnen zunächst auf die Zeil marschiert. Die Schaufenster wurden genau unter die Lupe genommen. Von der Hauptwache sind wir bis zur Konstabler und von dort auf der anderen Seite wieder zurück zur Hauptwache gelaufen. Frag nicht wie das abgelaufen ist. Die Landfrauen sind allesamt laut und schwelgerisch. Als wir bei „Heiß und Würzig“ ankamen, hatten die meisten Hunger bekommen und wir fuhren zum Essen hoch ins Restaurant. Oben angekommen, war, wie sollte es anders sein, Hochbetrieb. Um es kurz zu machen, wir fanden alle Platz. Alle konnten bequem zum Büfett gehen und sich bedienen nach Herzenslust.

Ich habe danach den Vorschlag gemacht, das stille Örtchen aufzusuchen, denn auf dem Weihnachtsmarkt ist das schwieriger. Anschließend gab es große Aufregung.“

„Wieso denn das?“

Und nun berichtet Gudrun, wie es dazu gekommen ist:

„Svetlana stellt auf dem Weihnachtsmarkt fest, sie hat zwei Brieftaschen in ihrer Tasche. „Ich begreife das nicht, wie kann denn das passiert sein?“, fragt sie aufgeregt.

Gertrud mischt sich fast vorwurfsvoll ein. „Wie kannst du denn plötzlich zwei Brieftaschen in der Tasche haben? Überleg mal, wo du deine Brieftasche gebraucht hast. Wir waren zuletzt auf der Toilette.“

„Richtig“, sagt Svetlana, „ich erinnere mich. Ich habe mir noch die Hände auf der Toilette gewaschen und dort stelle ich fest, dass auf der Ablage eine rote Brieftasche liegt, genau wie meine. Also habe ich diese Tasche eingesteckt; der Radau hat mich benebelt. Jetzt fällt mir aber auch wieder ein, dass ich vorher schon meine Brieftasche in der Toilette in die Tasche gesteckt habe, denn ich hatte mir eine Münze für die Wartefrau herausgenommen. Das laute Geschwätz beim Händewaschen hat mich durcheinander gebracht. Meine Güte, Gertrud, wem wird nur die Brieftasche gehören?“

„Weißt du was, wir gehen zurück in das Restaurant und klären die Angelegenheit. Vorher sagen wir Thea Bescheid.“

Gertrud und Svetlana gehen gegen halb drei zurück in das Lokal und verlangen den Hausdetektiv. Sie warten einen Augenblick und dann kommt der Herr auf sie zu und hört sich an, was sie zu sagen haben. Svetlana hält ihm die fremde Brieftasche entgegen. Der Mann ist erstaunt.

Gertrud berichtet später im Bus: Er betrachtete uns, als seien wir Engel. Er hat unsere Namen aufgeschrieben und meinte zuletzt, sie werden von uns hören.

Ich habe gefragt, ob die Verliererin den Diebstahl gemeldet habe. Der Detektiv bestätigte, dass die betroffene Frau Schlüter traurig gewesen sei, weil alle ihre Papiere weg waren. Sie sei recht mutlos davon gegangen. Er habe ihr die Rückgabe nicht 100%ig versprechen können.

„Ja, so ist das meine werten Damen, Hoffnung machen ist in einer solchen Situation knapp bemessen. Sie ahnen nicht, was in dieser Beziehung hier täglich abläuft. In den seltensten Fällen rufen wir die Polizei. Es ist eine unangenehme Zeiterscheinung. Das geht oft nicht nur verbal, sondern leider auch Mann gegen Mann ab.“

Svetlana fügt an: „Der Detektiv hat in unserem Beisein Frau Schlüter angerufen und wörtlich gesagt: „Frau Schlüter ich halte augenblicklich ihre Brieftasche in der Hand. Ende gut, alles gut. Ich lege sie im Safe für Sie bereit. Sie können sie abholen, wann Sie wollen. Sie ist in Sicherheit,

Tschü üss Frau Schlüter.“

 

 

Seite 93

Die Helden

 

Panne an der Fensterscheibe.

War‘s ein Meischen? Ich beileibe

bin erschrocken, seh‘ entsetzt,

wie der Federball sich windet und

rotierend hektisch schindet,

weil er ganz gewiss verletzt.

 

Kaum geschehen, naht ein Sperber,

den der Hunger, wohl ein derber,

treibt herbei! Er greift und krallt

seine Beute noch lebendig und für

ihn lebensnotwendig.

Typisch die Naturgewalt!

 

Oh der Hunger brach die Lanze

und der Sperber sah die Chance

augenblicklich, c‘est la vie!

Glück und Pech …, die beiden Helden,

unschlagbar in uns‘ren Welten,

stumm und rege, führ‘n Regie!

Seite 149 und 150

aus Jahreswechsel

 

„Na“, fragt sie ihn, „hast du gehört, was passiert ist?“

„Nein“, sagt er, „aber es muss etwas Schwerwiegendes sein. Der Notarztwagen ist mit hohem Tempo vorbeigefahren. Wir werden es spätestens morgen erfahren.“

Am Neujahrsmorgen geht ein Lauffeuer durch den Ort, dass der altangesehene Bürger Karl Otto Schmidt erschossen worden ist. Schmidt war im Ort und der Umgebung als alter Nazi bekannt. Es wurde um ihn gemunkelt und Vieles hinter vorgehaltener Hand erzählt. Laut sprach keiner über ihn.

Bei Konrad und Hilde rappelt das Telefon, Bruder Fritz und Schwägerin Gerta gratulieren zum neuen Jahr und erzählen, was sie von dem Unglück wissen.

Mathilde Gernot, eine unmittelbare Nachbarin, seit einem Jahr Witwe, hatte ihren Bruder aus Berlin im Frühjahr bei sich aufgenommen, da auch er Witwer geworden war. Das Angebot, zu ihr umzusiedeln, hatte er gerne wahrgenommen. Er hatte sich eingelebt, man sah sie beide öfters unterwegs. Mathilde ging zweimal die Woche zum Bauernhof Schmidt, den der einzige Sohn von Karl Otto führt.

Als Mathilde das erste Mal mit ihrem Bruder zusammen im Frühjahr Milch holen geht, sieht er den alten Herrn Schmidt über den Hof gehen. Er schaut, er stutzt, er kann nicht glauben, was ihm seine Augen verraten: Er ist der Mann, der im KZ Treblinka für den Tod seiner heißgeliebten jungen Marianne Neumann, Verantwortung trägt. Mit Marianne, einer Jüdin, hat er im Sandkasten gespielt, ging er zusammen in die Schule, sie war seine allerliebste Freundin von Kindertagen an. Er hat geschworen, dass er ihm das heimzahlt. „Das hast du nicht umsonst getan, du Schuft…“

Und nun läuft ihm dieser Gangster vor die Füße. Seiner Schwester verschweigt er, was ihn augenblicklich bis in den Kern seiner Seele erschreckt. Ernst Gert ist sich 100%ig gewiss, dass er den „Richtigen“ vor sich hat. Der stolze Gang, die Person an sich…! „Ja“, sagt er sich, „er ist es leibhaftig! Er muss dran glauben, ich habe es Marianne und meinem Herrgott geschworen.“

Ernst Gert weiß, er muss geduldig sein! Sein Leben lang hat er gehofft und gehofft, dass er ihm begegnen werde und nun kommt der Moment näher, wo er Mut beweisen wird! Darauf ist er innerlich vorbereitet, sein Herrgott wird ihn führen…

 

Der Sommer beginnt mit warmen Tagen. Mathilde hat ihren Bruder gebeten, bei Rewe einzukaufen, sie will bügeln. „Du kennst dich inzwischen aus, ich erwarte dich zum Mittagessen.“

Ernst Gert marschiert zu Rewe, sucht in den langen Gängen seine Ware zusammen. Er legt sie in den Einkaufswagen. An der Kasse steht eine Schlange Kunden und er stellt sich dazu. Als er an die Reihe kommt, passiert der Kundin vor ihm ein kleines Missgeschick, sie ist irgendwie nicht ganz bei der Sache hat er den Eindruck. Er ist in den Besitz eines Hundert Euroscheins gekommen. Versehentlich! Er geht aus dem Laden und hält die Luft an, dass er nicht als Dieb erkannt wird. Aber es bleibt alles ruhig.

Er weiß genau, was er mit dem Geld machen wird. Das Schicksal ist ihm gnädig seit er seinen neuen Wohnort betreten hat. In den nächsten Tagen versucht er an eine Pistole zu kommen. Eines Morgens sagt er seiner Schwester: „Mathilde, ich muss einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt aufsuchen, ich fahre in die Stadt.“

Er ist zwar nicht mit allen Wassern gewaschen, wie man zu sagen pflegt, aber er kennt sich aus, er wohnte schließlich in der Großstadt Berlin! Als er gegen Abend zurückfährt, hat er eine Pistole in der Tasche. Gottseidank, das ist ihm gelungen…

Als er nach Hause kommt, wundert er sich, dass er seine Schwester nicht in der Küche antrifft. Er ruft nach ihr und sie antwortet ihm aus dem Schlafzimmer. Er macht die Türe auf und sie sagt ihm, sie habe schlimmen Durchfall. „Morgen liebes Brüderchen, morgen wird es mir wieder besser gehen. Ich habe dir im Kühlschrank Essen zusammengestellt, ich wünsche dir guten Hunger. Du warst lange unterwegs, hast du alles erledigen können?“