Schnurrbart darf leben

Erster Teil

 Anka

1

Zweimal im Jahr kam für Anka eine Zeit der großen Unruhe. Sie dauerte dreimal sieben Tage, und in der mittleren Woche war es am schlimmsten. Es zuckte in ihren Pfoten, die ständig ziellos umherwanderten, sie seufzte und winselte, ihre bernsteinhellen Augen umflorten sich, blickten glanzlos und trüb. Sie verweigerte jede Nahrung, verschmähte sogar Leckerbissen und machte ihrem Jammer in heulendem Klagen Luft. Anka war liebeskrank. Sie sehnte sich nach einem Gefährten. In diesem Zustand wäre Anka mit jedem Rüden davongelaufen; ein Bastard ein streunender Landstreicher wäre ihr will-kommen gewesen, so stark war ihr Verlangen.

Doch solch zügelloser Ausschweifung war ein Riegel vorgeschoben, der fest am hölzernen Hoftor saß und dafür sorgte, dass Anka sich nicht unter ihrem Stand vergaß, denn sie stammte aus bester Familie.

Pudelpointer waren ihre Vorfahren, große Jagdhunde mit rauhaarigem Fell von der Farbe reifer Kastanien, das bei manchen hier oder dort ein heller geschimmeltes Abzeichen hervortreten ließ; Nachkommen einer streng ausgewählten Zuchtlinie waren sie, an deren Anfang die geglückte Kreuzung des Pudels mit dem Pointer stand. Der Pointer vererbte ihnen seine hervorragende Nase und die Besessenheit zu jagen, der Pudel die Apportierfreude und den strähnig gelockten Schnurrbart, der in langen, drahtigen Fransen über ihre Schnauzen herunterhing und, seitlich ein wenig stachelig abstehend, ihren eher gedrungenen als schmalen Köpfen eine besondere Würde verlieh. Ankas Rauhaar war einfarbig bis auf die hellere, linke Vorderpfote, die bis zum Sprunggelenk hinauf silbern schimmerte.

Anka war fünf Jahre alt und hatte bereits zweimal Junge gewölft. Alle ihre Nachkommen hatten die vorgeschriebene jagdliche Leistungsprüfung bestanden, einige sogar mit Auszeichnung. Anka selbst hatte höchste Preise errungen: Medaillen, Statuen, Pokale. Sie standen im Zimmer des Herrn auf der Kommode und wurden allen Besuchern gezeigt. Die dazugehörigen Urkunden hingen in dunklen Holzrahmen an der Wand.

 

Somit hatte Albert Berger allen Grund, Ankas ungezügeltem Liebesverlangen einen vorläufigen Riegel vorzuschieben und sie streng unter Aufsicht zu halten, bis er sie dem ihr bestimmten Rüden zuführen würde. Ein Brief, der die Angelegenheit bestens regeln würde, war schon geschrieben. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

An einem frühen, sonnigen Januarmorgen trat Albert Berger hinaus auf den Hof. Es war nicht notwendig, dass er Anka pfiff, nichts entging ihr und schon gar nicht, dass der Herr zum Fortgehen angekleidet aus der Tür trat. Sie stürzte ihm entgegen, beschnupperte die Schnürstiefel, die er immer trug, wenn sie ihn auf die Jagd begleitete, und stellte fest, dass er kein Gewehr bei sich hatte. Dicht auf seinen Fersen folgte sie ihm in den Stall, stupste ihn vor Ungeduld mit der Nase in die Kniekehlen und musste sich plötzlich setzen, um sich vor Aufregung zu kratzen, als sie sah, dass der Herr das Pferd vor den leichten Wagen spannte. Ein größerer Ausflug stand bevor! Mit vor Ungeduld tänzelnden Läufen sprang Anka zum Tor.

Zehn Tage lang war sie eingesperrt gewesen, hatte der Herr sie nicht hinausgelassen vor das Tor, an dem sie jetzt hochschnellte und mit den Pfoten kratzte. Doch ein Pfiff des Herrn rief sie zurück. An Ankas Halsband wurde ein Lederriemen befestigt und sie aufgefordert, auf dem Wagen Platz zu nehmen.

Ankas Läufe, die nach Land verlangten, viel Land, in weiten Sprüngen darüber hinzujagen, mussten sich damit begnügen, zu trippeln und zu zittern, und zu allem Überfluss wurde das andere Ende der Leine noch am Sitz befestigt, ehe der Herr das Tor öffnete und den Wagen hinauslenkte. Albert Berger war ein vorsichtiger Mann. Er wollte seine sorgfältig geplante Zucht nicht noch in letzter Minute durch einen umherstreunenden Landstreicher verdorben sehen. So blieb Anka nichts anderes übrig, als den Fang zu öffnen und dem Fahrtwind entgegenzuhecheln.

Die Sonne hatte den Frühdunst besiegt. Nur aus einigen tiefer gelegenen Mulden stieg noch leichter Nebel auf. Das weite Land, das sich unter der Kälte zusammengezogen hatte, atmete auf und dehnte sich für eine kurze Weile im wärmenden Licht.

Zwei Stunden später hielt der Wagen vor einem kleineren Gutshof, jenem ähnlich, in dem Anka zu Hause war. Dort wartete der ihr bestimmte Bräutigam, ein großer Rüde mit tiefer Brust und schlanken, sehnigen Lenden, der auf den Namen Cid hörte.

Anka wurde losgebunden und sprang vom Wagen. Sie schüttelte sich ausgiebig und streckte ihre vom Sitzen steif gewordenen Glieder. Cid wurde aus seinem Zwinger gebracht, um der Braut vorgestellt zu werden. Doch er bezeugte eindeutig, dass er diese Formalität selbst zu erledigen gedenke. Überrascht und erfreut sog er die Luft ein, die ihm den·Geruch der Liebesbereitschaft der Hündin zutrug.

Es bedurfte keiner weiteren Erklärung, Cid war sofort im Bilde. Er stürzte auf Anka los, die ihn schweifwedelnd erwartete, was zur Ausbreitung des Liebesduftes beitrug; doch ehe der Rüde sie erreicht hatte, wich sie seitlich aus. Cid erstarrte zu einer Holzschnitzerei.

 

Anka setzte davon, kam zurück, beugte die Vorderläufe bis zum Ellenbogengelenk zur Erde, wie zu einer höflichen Verbeugung und wedelte erneut mit dem handbreit kupierten Schwanz. Die Starre wich von dem Rüden und er verfolgte die wieder zurückweichende Hündin in der Absicht, ihre geheimen Stellen aufdringlich zu beschnüffeln. Anka wich aus, zierte sich, zeigte ihm ihre flinken Pfoten, die tadellosen Zähne, und biss ihn kokett in die Schulter.

Cid stand wie angewurzelt. Er verteidigte sich nicht. Steifbeinig, mit einem Versuch, seine Würde zu wahren, umschritt er die Hündin und betrachtete sie mit heißen, verlangenden Augen. Tänzelnd drehte sich Anka mit, verhielt wenn er stehenblieb und nutzte alle Vorteile aus, die das ungeschriebene Gesetz dieses Liebespiels ihrer Weiblichkeit zugestand. Körper an Körper, in entgegengesetzte Richtung blickend, blieben sie stehen und jedes kostete mit der Nase vom ganz persönlichen Duft des anderen.

Endlich hielt Cid es nicht länger aus und sprang mit einem täppischen Satz auf Anka zu. Wie der Blitz sauste sie los, beschrieb einen Kreis, kam zurück, zauste sein Fell, entzog sich wieder und lockte ihn so spielerisch in den weiträumigen Obstgarten hinter dem Haus. Etwas linkisch noch folgte der Rüde der Hündin; doch bald vergaß er seine Würde und stürmte ihr nach mit großen, raumgreifenden Sprüngen. Ankas Herr und sein Gastgeber gingen ins Haus, um bei einer Flasche Rotspon die Übergabe der Papiere und die Hinterlegung des Deckpreises zu regeln.

 

2

 

Als Anka zu Hause vom Wagen sprang und die Frau, die aus der Tür auf den Hof heraustrat, freudig begrüßen wollte, hielt sie plötzlich inne. Sie spürte, dass sich etwas verändert hatte. Die Frau hatte gerötete Augen und ihre Stimme klang seltsam belegt. In der Hand hielt sie ein Stück Papier. Sie gab es dem Herrn, der es lange betrachtete.

 

8.

 

 

Timofej Sergejewitsch, der im russischen Nachschublager für die Hunde zu sorgen hatte, hielt wenig davon, einen Jagdhund zum Wachhund ausbilden zu müssen. Aber Wassili Prokofitsch schien reinweg vernarrt in den neuen Köter und Wassili war der Kommandant. Deshalb behielt Timofej seine Meinung für sich.

 

Er gedenke den Hund zur Jagd mitzunehmen, hatte er Timofej auseinandergesetzt, aber natürlich müsse er ausgebildet werden, damit alles seine Ordnung habe, falls der Genosse Kontrolleur erscheine. Zwei Flaschen Wodka und ein Hut voll Tabak war der Preis, den er für den Hund  zahlte. Timofej möge es in die Kartei eintragen. Auch der Ordnung halber. Ein geringer Preis für einen so vorzüglichen Hund! Sein Name war Schnurrbart. Das Übrige sei Timofejs Sache.

Timofej fand den Preis zu hoch, doch auch hierüber verlor er kein Wort. Auch nicht über den seltsam rollenden Namen des Hundes, bei dessen Aussprache er sich lächerlich vorkam. Er nahm Schnurrbart in Empfang und brachte ihn zu den Hundezwingern. Sechs waren besetzt, ein siebenter war noch frei. Sie schritten vorbei an der Reihe der Zwinger, in denen Druzok, Verni, Kastanka, Ugadaj und Otkataj zu seiner Begrüßung heftig bellten. Schnurrbart bellte ein wenig zurück, doch vor dem vorletzten Zwinger, aus dem kein Bellen ertönte, blieb er ruckartig stehen und sträubte das Haar. Aus der Tiefe des Zwingers glühten die schwefelgrünen Augen des schwarzen Stummelohrs ein hasserfülltes Willkommen.

Beim Anblick des Feindes entblößte Schnurrbart die Zähne und ein tiefes Grollen stieg aus seiner Kehle empor. Ein fauchendes Knurren des Schwarzen antwortete. Er erhob sich und näherte sich dem doppelten Drahtmaschenzaun, der den Zwinger einfasste. Einen Augenblick lang hassten sie sich an, dann fuhren die Hunde so plötzlich aufeinander los, dass Timofej, der Schnurrbart am Strick hielt, stürzte. Fluchend kam er auf die Beine und Schnurrbart erhielt unter den aufleuchtenden Augen des Schwarzen seine erste große Tracht Prügel.

Doch selbst dann noch, als Schnurrbart müde und zerschlagen in seinen Zwinger gesperrt ward, gaben die beiden Feinde keine Ruhe. Immer wieder fuhren sie aufeinander los und alle Hunde des Lagers stimmten ein, knurrten, bellten und lärmten.

„Der neue Hund ist schuld“, beschwerte sich Timofej bei Wassili, der kam, nach seinem Schützling zu sehen.

Doch Wassili sagte: „Kornouch ist ein Teufel!“

Und er ordnete an, dass Schnurrbart mit Druzok den Zwinger zu tauschen habe und neben Kastanka, die Hündin gelegt werden sollte. Druzok, der wohl verstand, für wen er seinen Zwinger räumen musste, nahm Schnurrbart das übel.

Der Schwarze war schon länger im Lager. Timofej hatte ihn in einer Winternacht gefunden, als er sich auf dem Heimweg von der Bahnstation verspätet hatte. Eigentlich fanden ihn die Hunde, die den Schlitten zogen, auf dem Briefe und Pakete verschnürt lagen. Timofej, der dem Schlitten auf Schneeschuhen folgte, fluchte zunächst über den Aufenthalt, doch dann ließ er sich dazu herbei, nachzusehen, warum die Hunde stehenblieben und was sie so eifrig beschnüffelten. So fand auch Timofej den Schwarzen, bewusstlos vor Hunger, halb zugedeckt von Schnee.

Zunächst dachte er, der riesige Hund sei tot. Er zog ihn heraus und drehte ihn um. Da zuckte der Hund mit den Pfoten. Die Hässlichkeit und das bösartige: Aussehen gefielen Timofej überaus, er band den Hund auf dem Schlitten fest und brachte ihn ins Lager.

Er gab ihm den Namen Kornouch, das heißt: der mit den verstümmelten Ohren.

Kornouch kam zu sich, als ihm warme Suppe eingeflößt wurde. Erst schluckte er, dann öffnete er die Augen. Sein Blick fiel auf Timofej, der ihm diese Suppe spendete. Er bekam mehr davon und wurde in einen Zwinger gebracht, wo er eine warme, mit Stroh ausgepolsterte Hütte für sich vorfand. Er schlief erschöpft. Jedes Mal, wenn er erwachte, brachte Timofej ihm lebenspendende Nahrung. Zunächst war es dünne Suppe, aber heiß und fett, später nahrhaften, dicken Eintopf, ab und zu einen Knochen oder ein Stück Speck. So erlebte Kornouch das Wunder der täglich wiederkehrenden Mahlzeit, und er hatte es besser als jemals zuvor. Und immer war Timofej der Spender.

 

Langsam bekam Kornouch wieder Fleisch auf die Knochen. Sein Fell straffte sich. Es wurde glatt und bekam einen dunklen Glanz. Mit der Zeit begann Kornouch auf Timofej zu warten; und wurde er aus dem Zwinger herausgelassen, folgte er diesem, wohin immer er ging. Die Hässlichkeit und das bösartige Aussehen des riesigen Hundes gefielen Timofej von Tag zu Tag besser. Kornouch gehorchte nur ihm, dafür hatte Timofej gesorgt. Dass er böse war, hob Timofejs Ansehen gewaltig. Es gab keinen Soldaten im Lager, der es gewagt hätte, Timofej zu nahe zu treten, oder sich gar herausgenommen hätte, ihm auf die Schulter zu schlagen, wenn Kornouch in der Nähe war. Im Gegenteil, alle zollten ihm größten Respekt. So wurde Kornouch Timofejs Günstling.

 

Für Schnurrbart war das Leben unter Timofejs Herrschaft weniger erfreulich. Er trauerte. Es fehlte ihm die Weite unter den Läufen, er vermisste Jette, die Schafe, die krähende Stimme des Schäfers und die Freiheit. Niemals zuvor war er eingesperrt worden. Er hatte laufen können, wohin er wollte, sich niederlegen, wo es ihm beliebte. Wie eng es hier war! Schnurrbart verschmähte das Futter und wanderte ruhelos im Zwinger umher. Oft sah er die anderen Hunde abgeholt und zurückgebracht werden. Warum ließ man ihn nicht hinaus?

Einige Tage später kam Wassili und öffnete den Zwinger. Wie toll vor Freude sprang Schnurrbart an ihm hoch. Kaum konnte er glauben, dass er dem Kerker entronnen war. Fort ging es auf dem brummenden Wagen, vor dem er sich jetzt viel weniger fürchtete.

 

 

Und dann durfte er jagen und rennen! Ausgelassen tanzten seine Pfoten über die weiche Erde, entzückte Töne strömten aus seiner Kehle. Doch wie kurz war der Tag! Er wurde zurückgebracht und Timofej sperrte ihn wieder ein. Immerhin hatte die Bewegung ihn hungrig gemacht und von diesem Tag an begann Schnurrbart wieder zu fressen.

Kurze Zeit darauf holte ihn auch Timofej aus seinem Zwinger. Die ihm zur Eingewöhnung verordnete Einsamkeit hatte ein Ende, seine Lehrzeit als Wachhund begann.

„Sadis!“, befahl Timofej und drückte Schnurrbarts Keulen zu Boden. Schnurrbart begriff. Er setzte sich. So lernte er:

lozis!                        leg dich!

isci!                          such!

derzi Jego               fass ihn!

pusti!                       lass ab!

idi sjuda!                 komm her!

„Ty chorosaja sobaka“ aber du bist ein guter Hund sagte Timofej niemals. Nach und nach wurde Schnurrbart mit diesen und anderen kehligen Lauten vertraut. Vieles erriet er aus dem Tonfall, anderes musste er mühsam lernen. Manches wiederum ersah er aus einer Bewegung. Da Schnurrbart, was von ihm verlangt wurde, schon kannte und nur die neuen Laute, die ihm dies oder jenes zu tun auftrugen, lernen musste, ging es mit seiner Ausbildung rasch voran. Frei auf dem Fuße folgen, war ihm seit Kindheit bekannt. Seine hervorragende Nase fand rasch jede Fährte und die angeborene Leidenschaft des Jagdhundes und Schnurrbarts ausdauerndes Temperament ließen ihn auch die Fährte halten, bis er gefunden hatte. Zuletzt musste er lernen, ein Zweibein zu verfolgen, das einen dick wattierten Anzug trug und seltsam vermummt war. Er musste es stellen, niederziehen und am Boden festhalten. Rührte das Zweibein sich nicht, durfte auch Schnurrbart nicht zubeißen; doch auf jeden Fall musste er verhindern, dass es sich entfernte.

 

Wassili kam ab und zu, sich nach dem Stand von Schnurrbarts Ausbildung zu erkundigen. Er lobte und streichelte ihn und nahm ihn auch oft aus der Trainingsstunde heraus und mit sich fort auf die Jagd. Das nahm Timofej übel. Schnurrbart musste es nachholen und üben und üben, bis er zum Umfallen müde war. Timofej sah ihm nicht das Geringste nach. Er sparte auch nicht mit Strafe und war mit dem Knüppel rasch zur Hand. Doch Schnurrbart bemerkte sehr bald, dass Timofej seinen Unmut nur dann an ihm ausließ, wenn Wassili nicht zugegen war, aber oft genug in Gegenwart Kornouchs, der die Züchtigung seines Feindes mit funkelnden Augen genoss.

Wassili jedoch war äußerst zufrieden und stolz auf Schnurrbart. Er fütterte ihn oft mit Extra-Happen. Doch er tat dies gedankenlos in Gegenwart der anderen Hunde. Diese Bevorzugung machte Schnurrbart unbeliebt und es kam oft zu Beißereien, wenn die Hunde frei waren. Schnurrbart wehrte sich kräftig und stand den anderen nicht nach. Er war jetzt voll erwachsen. Er hatte die tiefe Brust seines Vaters und die flinken Läufe der Mutter. Sein Wuchs war prachtvoll und hoch, die Lenden überschlank, fast mager. Und doch lag Stärke in ihm. Kein Gramm Fett war auf seinem Körper, nur Muskeln und Sehnen. Sein Lauf war kraftvoll, ausdauernd und rasch, seine Bewegungen wendig und flink. Druzok, Sbogar oder Otkataj mochten sich vorsehen, wenn sie es sich einfallen ließen, einen Streit mit Schnurrbart vom Zaun zu brechen. In seinem Fang saßen zwei Reihen tadelloser spitzer Zähne, die blitzschnell zuschnappen konnten, noch ehe die anderen mit dem Vorgeplänkel fertig waren. Sie zogen den Kürzeren und mussten einen schmählichen Rückzug antreten. Schnurrbarts erste Erfahrung im Kampf hatte ihn gelehrt, nicht lange zu fackeln. Einmal, als alle drei Hunde gemeinsam über ihn herfielen, kam ihm der Zufall zu Hilfe. Mit dem Rücken geriet er zwischen einen Holzstoß und die Wand der Baracke. In diesem Winkel hatte er sein Hinterteil frei und vorn blitzten die unbezwinglichen Zähne. So blieb er der Sieger und hatte von da an Ruhe. Die Hunde gingen ihm respektvoll aus dem Weg und bald sprach man im Lager mehr von Schnurrbart als von Kornouch, der bis dahin als der Stärkste gegolten hatte. Auch Timofej bekam immer mehr zu hören, gegen Schnurrbart käme selbst Kornouch nicht an. Timofej aber schwieg und hielt Kornouch im Zwinger, wenn Schnurrbart frei war und umgekehrt. So knurrten sich die Feinde nur durch den doppelten Maschendraht an und es blieb bei Drohungen und Zähne fletschen.

Die Hunde, die Schnurrbart um die besonderen Bissen beneidet hatten, konnten nicht wissen, dass Timofej alles, was Wassili Schnurrbart gab, doppelt und mehrfach von dessen Ration wieder abzog. Was er Schnurrbart nahm, kam Kornouch zugute. Wie oft fischte Timofej den fetten Speck aus dem Schöpflöffel, ehe er ihn in Schnurrbarts Schüssel leerte; und die vielen, fetten Bröckchen durfte Kornouch sich schmecken lassen. Kornouch Stummelohr wurde dick, lag faul in seinem Zwinger und verdöste den Tag, während Timofej Schnurrbart härter arbeiten ließ, als irgendeinen anderen Hund im Lager. Kam Schnurrbart ermüdet von der Jagd zurück, schickte ihn Timofej mit der Wache fort. Er legte besondere Trainingsstunden ein, die Schnurrbart ermüden und zermürben sollten. Schnurrbart hingegen, der monatelang Schafe gehütet hatte, war gestählt und hielt durch.

Timofej tat dies alles nicht nur, weil er Kornouch begünstigte und Schnurrbart nicht mochte, nein, er handelte mit voller Absicht und verfolgte einen bestimmten Zweck. Timofej hatte es nicht eilig. Er wartete seine Zeit ab. Seine Zeit schien gekommen, als Wassili das Lager für mehrere Tage verließ.

Schnurrbart kam vom Wachdienst zurück. Er folgte dem Soldaten frei auf dem Fuß. Auf dem Platz vor den Zwingern stand Timofej und machte sich an dem Holzstoß zu schaffen. Kornouch, frei und außerhalb seines Zwingers, begrub einen Knochen. Schnurrbart stutzte. Zum ersten Mal, seit er im Lager war, stand er seinem Feind ohne trennendes Gitter gegenüber.

Der Schwarze hatte Schnurrbart noch nicht bemerkt. Er zeigte ihm den Rücken und buddelte an seinem Loch. Schnurrbarts Augen jedoch hingen gebannt an jeder Bewegung des Feindes und sein Nackenhaar sträubte sich. Da stieß Timofej einen warnenden Ruf aus, Kornouch sah sich um und erblickte den Gegner, der kaum zwanzig Schritte von ihm entfernt verharrte. Sein ganzes Gesicht zog sich in bösartige Falten, er zeigte die gelben Zähne und knurrte. Auch aus Schnurrbarts Kehle stieg ein dunkles Grollen. Noch standen beide Ruten steil in die Höhe. Schnurrbart war auf äußerster Hut. Keine Bewegung des Feindes entging ihm. Doch der stummelohrige Schwarze rührte sich nicht, er stand, als seien seine Läufe an den Boden genagelt. Da hob Schnurrbart das Haupt und schritt auf ihn zu. Wenige Meter vor ihm hielt er an und verharrte. Kornouch legte die verstümmelten Ohren zurück, streckte den Hals vor und sein Knurren wurde fauchend. Er entblößte die gelben Zähne bis zu den Wurzeln. Auch Schnurrbart grollte und ließ seine Waffen sehen.

 

„Halt deinen zurück!“, schrie der Wachsoldat. Timofej tat nichts dergleichen. Dies war seine Stunde. „Halt du doch den anderen“, gab er zurück.

„Schnurrbart, hierher!!“, schrie der Soldat. Doch Schnurrbart hörte ihn nicht. Dies war s e i n e Stunde.

Plötzlich schnellte Kornouch vor. Doch Schnurrbart sah ihn kommen und wich seitlich aus. Kornouchs Zähne schlugen in der Luft zusammen. Ehe er sich umdrehen konnte, hatte Schnurrbart blitzschnell zugebissen und war zurückgesprungen. Kornouch heulte wuterfüllt auf und stürzte erneut auf den Gegner. Nur um Haaresbreite verfehlte er ihn und wieder musste er einen Biss einstecken. Sie umkreisten sich, fauchend, knurrend, schnappend und jeder versuchte den anderen zu fassen. Mit der stämmigen Schulter versuchte er Schnurrbart zu rempeln, doch dieser wich aus, er war auf der Hut. Nur zu gut wusste er was es hieß, im Kampf zu liegen zu kommen.

Mehrere Soldaten kamen zum Kampfplatz gelaufen. Die Kunde, dass Schnurrbart mit Kornouch kämpfte, hatte sie herbeieilen lassen.

„Ich wette Zwanzig zu Fünf auf Schnurrbart“, rief einer, „wer hält?“

„Zwanzig zu Fünf auf den windigen Jagdhund?“, schrie Timofej. „Dreißig zu einem Rubel auf Kornouch!“

„Seht doch den Fettwanst, wie kurz sein Atem ist!“, rief ein anderer. „Schnurrbart, pack ihn!“

„Kornouch, fass!“

„Treibt sie auseinander. Es ist der Hund des Genossen Hauptmann!“

„Ja, zieh ihn am Schwanz raus, du Held!“, höhnte Timofej. „Dreißig zu Einem auf Stummelohr! Wer hält?“ Sie schlossen Wetten ab, während die Hunde kämpften. Die Wetten wurden höher, der Kampf immer erbitterter. Sie verbissen sich, kamen los und fuhren erneut aufeinander zu. Dank seinem harten Training war Schnurrbart vorzüglich in Form. Er hatte auch gelernt, mit anderen Hunden zu kämpfen. Druzok, Sbogar und Ugadaj waren seine Trainingspartner gewesen. Er hatte sie alle besiegt. Er war auch nicht mehr der unerfahrene junge Rüde, der sich überrumpeln und umwerfen ließ. Er war selbstbewusst und voll Kraft und Stärke. Doch dies war kein Kampf, nur die Kräfte zu messen. Hier ging es um mehr. Sie waren erbitterte Feinde. Auf Schnurrbarts Seite kämpfte Jette, der Räuber; der die Schafe gemordet und Garm, den es zu rächen galt. Alle Unbill die jener ihm zugefügt, galt es zu sühnen. Hier stand der Feind in Person. Er war nicht länger hinter Maschendraht verborgen, er war fassbar – und Schnurrbart wollte ihn fassen. Kornouch hingegen, verpäppelt und geschont, war bequem geworden und hatte Fett angesetzt. Er war längst nicht mehr der furchtbare Gegner, für den er sich und Timofej ihn immer noch hielt. Die schlaue Rechnung von Timofejs schlichtem Verstand ging nicht auf. Kornouch war alt und behäbig geworden, die Kampfkraft und der Mut seines Gegners hatten ihn überrascht. Noch wollte er nicht glauben, dass er unterlegen war. Mit einer gewaltigen Schulterbewegung holte er aus, den verhassten Gegner endlich zu Boden zu schleudern. Doch dieser sprang zur Seite, Kornouch verlor das Gleichgewicht und stürzte. Nun war Schnurrbart wie der Blitz über ihm, die blitzenden weißen Zähne über Kornouchs Kehle zum Biss bereit.

„Er bringt ihn um“, kreischte Timofej und sprang hinzu. „Schnurrbart zurück!“ Er schwang einen Knüppel.